- Kosmetik im alten Ägypten
- Kosmetik im alten Ägypten»Worte sprechen durch den Obersten Vorlesepriester und den Sem-Priester: Auftragen der grünen und schwarzen Augenschminke und Salben des Toten mit Behen-Öl und mit Ladanum. Ich habe für dich die Medjet-Salbe auf dein Gesicht aufgetragen. Ich habe dein Gesicht mit dem Horus-Auge versehen, damit dein Gesicht dadurch wieder belebt wird. Ich habe dir die Augen mit der grünen und schwarzen Schminke geschminkt, damit dein Gesicht dadurch wieder belebt wird. ..«Dieser in Hieroglyphen geschriebene Text begleitet die Darstellungen des »Mundöffnungsrituals«, in denen die Wiederbelebung des Verstorbenen im Rahmen der Bestattungsfeierlichkeiten vollzogen wird. Das Schminken des Gesichts nimmt dabei eine besonders wichtige Rolle ein, denn das Gesicht des Toten ist es, das als erstes wieder zum Leben erwacht - ein Vorbote der Auferstehung. Allein die Gesichter bewahren ja bei den Särgen und Mumien das Aussehen der Lebenden, während der Leib in einer gestaltlosen Hülle verborgen bleibt. Das Salben des Gesichts ist auch der Höhepunkt des alltäglich am Kultbild der Gottheit zu vollziehenden Tempelrituals. Der Hohepriester öffnet den Kultbildschrein, »um die Figur des Gottes zu schmücken, um ihm seine Augen mit der Salbe des Gottesrituals zu füllen, um seinen Leib mit Heken-Öl zu salben, um seine Nase von den Dingen des Sonnenauges, des Goldes der Götter, atmen zu lassen. .. die Salbe, der sein Herz entgegenjauchzt«.Bis in die Vorgeschichte reicht der hohe Stellenwert des Salbens zurück. Zu den ältesten Bild- und Schriftträgern zählen die Schminkpaletten aus Schiefer, auf denen Mineralien für die Herstellung von Augenschminke zerrieben wurden. Es mag seltsam erscheinen, dass gerade auf diesen Schminkpaletten staatspolitisch so bedeutende Szenen dargestellt werden wie das »Erschlagen der Feinde« (auf der Palette des Königs Narmer). Der Grund dafür ist indes offenkundig: Durch das Schminken des Götterbildes wird die Gottheit gnädig gestimmt und gewährt dem König den Sieg. Salbgefäße und Salbenlöffel gehören die ganze ägyptische Geschichte hindurch zu den feinsten und kostbarsten Erzeugnissen des Kunsthandwerks; sie waren wohl häufig nicht für den alltäglichen Gebrauch, sondern für die Benutzung im Jenseits bestimmt. Zur Gewinnung und Beschaffung von kosmetischen Rohstoffen und Weihrauch werden aufwendige und gefahrvolle Expeditionen in fremde Länder entsandt. In der Opferliste, auf der in den Gräbern alles zur Versorgung des Verstorbenen im Jenseits Notwendige minutiös aufgeführt ist, nimmt die Aufzählung von Salben und Ölen einen ebenso wichtigen Platz ein wie die Auflistung von Speisen und Getränken.Es versteht sich von selbst, dass unter diesen Voraussetzungen kosmetische Praktiken in Altägypyten nicht auf das weibliche Geschlecht beschränkt, sondern ebenso eine Angelegenheit der Männer waren. Der König ging mit gutem Beispiel voran. Zum königlichen Hofstaat gehörten »Priester des Kinnbartes«, »Vorsteher der beiden Bäder«, »Aufseher über die Nagelpfleger des Palastes« und »Vorsteher der Friseure Pharaos«. Auch die Götterwelt war eng mit der Schönheitspflege verbunden. Der Name der Göttin Bastet leitet sich von der Bezeichnung eines Salbgefäßes her, und der Name des im Alten Reich belegten Gottes Duau lautet in Übersetzung »Gott der königlichen Bartpflege«. Ein geläufiges Beiwort des Gottes Ptah ist »der Schöngesichtige«.Viele Personennamen sprechen von der »Schönheit«, altägyptisch nefru, der Götter: Nefru-Ptah, Nefru-Re verleihen der Namensträgerin die Schönheit der Götter Ptah oder Re. Nefer-nefru-Aten, »schön ist die Schönheit des Aton«, ist ein Beiwort der Nofretete (»die Schöne ist gekommen«). Die Gemahlin Ramses' II., der er als Ort ihrer Erhebung unter die Götter den kleinen Tempel von Abu Simbel erbaut, heißt Nefertari, »die Allerschönste«.Das gepflegte Äußere signalisiert eine gehobene soziale Stellung und hebt von der Masse der Ungepflegten ab. Stoppelbart und wirres Haar sind karikierende Darstellungsmittel zur Kennzeichnung von Angehörigen der Unterschicht. In der »Satire der Berufe«, einer Werbeschrift für den Schreiberberuf, heißt es vom Schmied, »er stinkt mehr als der Abfall von Fischen«, und der Maurer »wäscht sich nur einmal«. Hier zeigt sich der unmittelbare Zusammenhang zwischen Kosmetik und Lebensstandard. Sorgfältige Körperpflege ist aber auch die Voraussetzung für eine höhere Lebenserwartung. Demographische Untersuchungen an Skeletten aus großen Friedhofsanlagen erlauben den Schluss, dass das Durchschnittsalter in Ägypten kaum über dreißig Jahren gelegen haben dürfte. Von hochgestellten Beamten wissen wir aufgrund ihrer biographischen Inschriften, dass sie häufig ein Alter von sechzig oder siebzig Jahren erreichten, sicherlich das Ergebnis sorgfältiger Hygiene. Die tägliche Morgentoilette findet sogar im Sonnengesang von Amarna Erwähnung: »Du, Aton, vertreibst die Finsternis, du gibst deine Strahlen; was auf Füßen steht, erwacht. Du hast sie aufgerichtet, sie reinigen ihre Körper und ziehen Leinengewänder an.« Sie gehört auch zum Bildprogramm der Gräber; an der sitzenden Figur des Ptahhotep (um 2400 v. Chr.) sind Bedienstete mit Fußpflege, Maniküre und Haarpflege beschäftigt.Der Pflege des Haares gilt besondere Aufmerksamkeit. Neben fein gelockten Kurzhaarfrisuren werden schulterlange Perücken - meist aus Menschenhaar - getragen, auf die man im Neuen Reich Salbkegel setzt, die aus Fett und Parfumölen bestehen und sich langsam auflösend über Haar und Kleidung fließen. Blumenkränze und einzelne Blüten werden von Frauen mit den Perücken kombiniert. Die Vieldeutigkeit kosmetischer Praktiken im alten Ägypten lässt sich am Beispiel der Haarpflege exemplarisch darstellen. Sorgfältig geflochtenes Haar der Frau gilt als erotisches Signal. In einer (fiktiven) Verführungsszene im Zwei-Brüder-Märchen wird dem angeblichen Verführer die Äußerung unterstellt: »Komm, wir wollen uns vergnügen und miteinander schlafen. Lege dir deine Perücke an.« Die zahlreichen Darstellungen von Frisierszenen auf Frauensärgen des Mittleren Reiches dürften ebenfalls eine sexuelle Nebenbedeutung haben.So unklar die ganze Bedeutungsvielfalt der Bilder der Schönheitspflege in der ägyptischen Kunst ist, so präzise sind die Erkenntnisse über die technischen und naturwissenschaftlichen Aspekte dieses Themas. Über die Zusammensetzung und Herstellung kosmetischer Substanzen unterrichten sowohl altägyptische Texte und Bilder als auch Analysen originaler Kosmetika. Als schwarze Augenschminke wurde vor allem Bleiglanz verwendet, das häufig als kohl bezeichnet wird, vom arabischen »kahala« (= »die Augen salben«) abgeleitet. Bleiglanzkugeln gehören bereits in vorgeschichtlichen Gräbern zum festen Bestand der Beigaben für den Toten, ergänzt um Reibstein und Schminkpalette, Salbenlöffel und Schminkgefäß.Viele Salbenrezepte für besondere Anwendungsbereiche finden sich in den medizinischen Papyri. Zur Herstellung wohlriechender Räucherkugeln wird empfohlen: »Kyphi, hergestellt, um angenehm zu machen den Geruch des Hauses oder der Kleider. Trockene Myrrhe, Wacholderbeeren, Weihrauch, Mastix, Bockshorn sowie Rosinen sind zu verreiben, zusammenzumengen und aufs Feuer zu stellen.« Bei einem Mittel zur Haarpflege fällt es schwerer, seine Wirksamkeit nachzuvollziehen: »1 Hundebein, Dattelkerne, 1 Eselshuf, in Öl in einem Topf ausreichend gekocht.«Medizinische Erfahrung, magisches Wissen und zeitbedingtes Schönheitsideal verbinden sich zu kosmetischen Praktiken, deren sichtbares Ergebnis die Statuen, Reliefs und Malereien aus drei Jahrtausenden der Nachwelt überliefert haben. Die Ästhetik dieser Darstellungen hat Maßstäbe des Schönen gesetzt, die bis heute Gültigkeit haben. Die Unverzichtbarkeit altägyptischer Motive für die moderne Kosmetikwerbung legt davon Zeugnis ab. Für den alten Ägypter ist die Schönheit und Vollkommenheit des körperlichen Erscheinungsbildes der unmittelbare Ausdruck der Gesamtbefindlichkeit des Menschen. Leib und Seele sind gleichrangige Bestandteile des Menschen. In der Schönheit des Gesichtes spiegelt sich die Eintracht mit Gott. Der in der Spätzeit häufig belegte Personenname An-em-her (= »Schöngesicht«) ist nicht ein Bekenntnis zur Kosmetik, sondern der Wunsch, mit Gott und der Welt im Einklang zu stehen.Prof. Dr. Dietrich Wildung
Universal-Lexikon. 2012.